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Die abnormale Heterosexualität

ANA & ANDA CSD Karlsruhe 2012
Ein fiktionaler Text zum CSD Karlsruhe 2012

Leben in der Homonormativität

Das Lebensgefühl einer Hetera unter Homos

Dass sie heterosexuell ist, hat sie schon immer gewusst. Aber natürlich hat sie es niemandem erzählt, damals in der Schule. Wenn das die Anderen geahnt hätten! Nach Jungs ausschauen, davon träumen, mit einem Mann zusammen zu sein - igitt! Stattdessen hat sie mitgelacht, wenn Witze über Heteras gemacht wurden, die "Tussis", die bauchfrei vor den mackerhaften Heteros herumstolzieren und sich auch noch schön finden dabei...

Andere Tussis kennen gelernt hat sie erst viel später. Und als sie dann ihren "Macker" hatte, outete sie sich auch vor ihren Müttern. Kein sehr schönes Erlebnis: "Du liebst Männer?? Wie willst Du denn mit einem Mann glücklich werden? Was haben wir bloß falsch gemacht bei Deiner Erziehung?"

Mit der Zeit hat sie sich ihren eigenen Freundeskreis aufgebaut, aus lauter Heteras und Heteros, wo sie sich genau so geben kann, wie sie will und sich wohlfühlt. Aber "draußen" wissen es immer noch die Wenigsten. Am Arbeitsplatz würde sie sich schon gar nicht outen, auf die üble Nachrede kann sie gerne verzichten. "Mann und Frau? Wie passt das denn
zusammen? Die sind doch so verschieden wie Katz und Hund! Da braucht es ja schon einen Hang zur Selbstbenachteiligung, um sich so was anzutun!"

Sie hätte ihren "Macker" gerne geheiratet. Aber Tussis und Macker dürfen keine Ehe schließen. Laut offizieller Gesetzgebung bedürfen Ehe und Familie des besonderen Schutzes des Staates. Und mit Ehe und Familie sind natürlich nur gleichgeschlechtliche Paare mit ihren Kindern gemeint. Dass Frau und Frau oder Mann und Mann füreinander einstehen, ergibt sich ja ganz logisch aus ihrer Ähnlichkeit. Fast lächerlich, das Gleiche von Frau-Mann-Paaren anzunehmen! Und erst die armen Kinder! Wie sollten sie sich mit von solchen Gegensätzen geprägten Eltern nur in der Welt zurechtfinden!

Wenn sie sich wie eine Tussi kleiden würde, müsste sie Geflüster und Spötteleien in Kauf nehmen. "Zieh Dich doch mal wie eine richtige Frau an!" - also bloß keine Absätze, Röcke oder sonstiger Unfug. Wenn immer möglich, vermeidet sie aber gemeinsame Unternehmungen mit Arbeitskolleginnen. Eine davon ist ihr eh schon ständig auf den Fersen, jeden Tag die gleiche Anmache. Und egal ob Kino, Tanzen oder Shoppen - alles ist Durchdrungen vom Balzen der Frauen untereinander. Und wie ihr Macker erzählt, ist es unter den Männern auch nicht anders.

Ständig hagelt es Anzüglichkeiten - auf die Idee, dass sie ganz grundsätzlich kein Interesse daran haben könnte, kommt keine der Frauen um sie herum. Im Kino schmelzen alle dahin, während sie es schon von Anfang an kaum fassen kann, wie eindeutig alles darauf hinzielt, dass die beiden Protagonistinnen natürlich miteinander im Bett landen. Viel Stöhnen und nackte Haut - und sie wäre am liebsten einfach nur bei ihrem Macker.

Sie liebt ihn und er liebt sie - und immer wieder fragen sie sich, was sie dadurch den gleichgeschlechtlichen Paaren eigentlich wegnehmen? Warum ist das ekliger, als wenn Frau Frau und Mann Mann küsst? Warum dürfen sie sich kein "Ja-Wort" geben und nicht genau so füreinander einstehen, wie das die Frauen- und Männerpaare um sie herum tun?

Manchmal wird Tussis und Mackern auch nachts aufgelauert und sie werden bedroht und verprügelt. Ihr ist das noch nie passiert, aber latent ist da schon so eine gewisse Vorsicht in ihr. Besser, sich nicht zu erkennen zu geben.

Aber insgesamt muss sie natürlich froh sein, dass es ihr so gut geht. In anderen Ländern werden Tussis und Macker verfolgt, ermordet, sind von Gefängnis und Todesstrafe bedroht. Hierzulande kann sie immerhin einmal im Jahr auf die Straße gehen und mit anderen Frau-Mann-Paaren für Gleichberechtigung und Akzeptanz demonstrieren. Dann wirft sie sich immer in ihr weißes Hochzeitskleid und hakt sich bei ihrem in den schwarzen Smoking gehüllten Macker unter. Die "Homos" finden das dann einen unmöglichen "Zickenzirkus", rollen die Augen und verziehen das Gesicht - obwohl sie sich die exotischen Tussis und Macker natürlich gerne angucken.

Einige Väterpaare ziehen ihre Kinder zwar schnell weiter - aber die meisten Homos wissen inzwischen, dass Heterosexualität nicht ansteckend ist. Immerhin. Vielleicht outet sie sich eines Tages ja doch auch am Arbeitsplatz. Wer weiß, wer alles um sie herum noch Tussi oder Macker ist...

Das ist nicht die Welt, die wir als Lesben uns wünschen. Es ist die Umdrehung der Welt, in der wir leben. Für eine ganz andere Welt, die selbstverständlich mit ganz natürlichen Spielarten der Natur umgeht, treten wir morgen Samstag, den 2. Juni, als Schirmfrauen auf dem CSD in Karlsruhe ein - zusammen mit vielen Lesben, Schwulen, Bi-, Trans-, Inter- und Heterosexuellen, die sich auch eine offenere Welt wünschen.

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