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Rede zum CSD Karlsruhe 2012

Schirmfrauen CSD Karlsruhe 2012
Schirmfrauen an der Spitze der CSD Parade in Karlsruhe

Unsere Rede zum CSD Karlsruhe 2012

"Liebe. Mit Recht." in der Stadt des Rechts

Liebe Anwesende und Zuhörende,

es ist uns eine große Ehre und Freude, Schirmfrauen des diesjährigen CSD in Karlsruhe unter dem Motto "Liebe. Mit Recht." zu sein. Wir leben gerne hier und unterstützen seit vielen Jahren als Künstlerinnen das Profil dieser Stadt: "Mit Recht. Karlsruhe". Heute stehen wir hier, um zu betonen, dass damit auch "Liebe. Mit Recht." gemeint sein muss.

Mit dem diesjährigen Motto nimmt das Organisationskomitee in Karlsruhe aber auch deutlich Bezug auf die politische Historie des CSD. Dies ist umso erfreulicher, als sich heute viele CSDs dem Vorwurf ausgesetzt sehen, zu reinen Partyveranstaltungen einiger bunter Paradiesvögel verkommen zu sein.

Nun finden wir, dass an Paradiesvögeln absolut nichts auszusetzen ist. Die Kritik, die mancherorts an den CSDs geäußert
wird, teilen wir zumindest in Karlsruhe nicht. Viele Lesben und Schwule feiern bei den CSDs auch sich selbst. Wenn dies mit Karneval verglichen wird, ist das ein Missverständnis. Viele von uns verkleiden sich im Alltag mehr, als auf dem CSD und tragen ihre Identität auf den CSDs gerne stolz zur Schau.

Stolz? Da wir es uns nicht ausgesucht haben, lesbisch oder schwul zu sein, können wir natürlich nicht darauf stolz sein. Stolz sind wir auf etwas Anderes:

In einer Gesellschaft, die so sehr von Frau-Mann-Beziehungen geprägt ist, braucht es nach wie vor Mut, sich zu outen und offen von dieser Norm abweichend zu leben. Es geht nicht einfach darum, die eigene Ästhetik zu präsentieren, sondern Akzeptanz und Gleichbehandlung dafür einzufordern.

Echte Toleranz und echte Gleichberechtigung würde aber auch gleiche Rechte bedeuten. Und die haben Lesben und Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle nach wie vor nicht. Auch nicht in Karlsruhe, der Residenz des Rechts. Gerade diese Stadt soll besonders deutlich daran erinnert werden, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sein sollten. Das bedeutet eben auch, ein "Recht auf Liebe", so wie wir sie leben wollen.

Nein, Homosexuelle müssen hierzulande nicht mehr ins Gefängnis und werden nicht mehr staatlich verfolgt. Und oft genug wird die Botschaft an uns gerichtet: "Was wollt ihr denn eigentlich noch?!" Das, was selbstverständlich sein sollte, wird wie ein großes Zugeständnis an uns formuliert. Dass wir jetzt auch noch in allem gleiche Rechte haben und von allen gleichberechtigt behandelt und ernst genommen werden wollen, scheint vielen lästig zu sein.

Das eigene Leben trotzdem so "laut und auffällig" zu führen, wie das Heterosexuelle ganz selbstverständlich tun, braucht Kraft, Mut und die Fähigkeit, mit Nachteilen umgehen zu können. Und das ist es, was uns stolz macht.

"Lebt doch Euer freies Leben und lasst diesen Quatsch mit der Homo-Ehe", sagte ein Passant am CSD-Infostand auf dem Marktplatz zu uns. Ein freies Leben? Das kann nur führen, wer – auch vor dem Gesetz – die freie Wahl hat und sich frei bewegen kann. Sich offen als lesbisch, schwul, bi-, trans- oder intersexuell zu erkennen zu geben, trauen sich aber Viele auch in Karlsruhe nach wie vor nicht – und noch viel weniger, sich am Arbeitsplatz zu outen. Die Angst vor Nachteilen und Spötteleien ist zu groß. Und wer die Angst ablegt, stößt schnell an die Grenzen der Toleranz. Es gibt eine Art eingebildeter Toleranz in unserer Gesellschaft. Sie gilt, solange Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle unsichtbar bleiben.

Viele Lesben und Schwule können von Erfahrungen erzählen, die zeigen, dass die Akzeptanz der Gesellschaft immer noch sehr oberflächlich ist. Religiöse Einstellungen oder kulturelle Hintergründe zum Beispiel dürfen nie ein Recht zur Diskriminierung, eine Aufweichung der Menschenrechte zur Folge haben.

Oder wollen wir es als „kulturell“ betrachten, wenn es in Ländern wie z.B. Russland sogar Rückschritte in der Akzeptanz von Lesben und Schwulen gibt? Heute stehen wir auch aus Solidarität mit denjenigen Lesben und Schwulen hier, die weltweit noch – oder wieder! – um die elementarsten Menschenrechte kämpfen müssen.

Von gesetzlicher Gleichstellung kann aber wie gesagt auch in Deutschland nach wie vor nicht die Rede sein.

Apropos "die Rede sein": Reden sollen wir oft am besten sowieso nicht über unser Lesbisch-Sein. Häufig gehörtes Argument: "Ich erzähle ja auch niemandem, was ich mit meinem Mann im Bett mache!" Als ob es darum ginge! Heterosexuelle Menschen nehmen oft gar nicht wahr, wie durchdrungen die ganze Öffentlichkeit, ihr eigenes Denken und vor allem auch ihr Reden von der Heterosexualität ist.

Fast immer und überall spielen heterosexuelle Paarbeziehungen eine Rolle: Film, Literatur, Songs und Lieder, Werbung, Theater, Formulare, Urkunden sowie Recht und Gesetz sind durchdrungen davon, dass es Frau und Mann sind, die einander begehren, die heiraten, die füreinander einstehen, die Kinder haben. Wenn Eine von uns die Andere aber öffentlich "meine Partnerin" nennt, ist das oft schon zu viel. Die wenigsten Zeitungen schreiben über uns, dass wir ein Paar sind. "Das spielt doch keine Rolle"... Ach wirklich? Und wie wäre es, wenn wir ein heterosexuelles Paar wären? Käme das auch nie vor in den Presseberichten?

Es spielt eine Rolle! Wir wollen als Paar wahrgenommen und akzeptiert werden. Wir wollen, dass unsere Liebe als gleichwertig gilt wie jene zwischen Frau und Mann. Wir wollen selber entscheiden dürfen, ob wir heiraten wollen oder nicht und ob wir Kinder großziehen oder nicht. Und wir wollen Vorbilder sein für junge Menschen, die – wie wir – von der heterosexuellen Norm abweichen.

Wie oft wurden wir nach Auftritten schon gefragt: "Warum tragt Ihr eigentlich Männerkleider?" Genau so oft werde ich gefragt, warum ich mein Haar nicht trage. Tja, aus dem gleichen Grund, warum Andere Frauenkleider tragen und lange Haare haben: Weil es uns gefällt und wir uns in diesem Outfit wohlfühlen. Die Normen und Erwartungen dieser Gesellschaft aber lassen so etwas nicht zu. Wer sich so "daneben" kleidet, muss einen ganz speziellen Grund dafür haben. Frau tut das sonst nicht.

Frau tut es eben doch - genau so, wie Mann auch Röcke trägt. Das kann er aber im Prinzip nur einmal im Jahr tun - auf dem CSD. Denn sonst muss er befürchten, nicht für voll genommen zu werden. Er ist dann eine "Tunte". Wir können uns immerhin auch im Alltag mit Krawatte oder Fliege präsentieren. Wir sind dann halt Lesben, die tun so was. Und außerdem Künstlerinnen - die sind ja eh immer etwas abgedreht.

Deshalb sind wir dieses Jahr Schirmfrauen des CSD Karlsruhe geworden: Für Gleichheit vor dem Gesetz in einer Gesellschaft, die uns zwar Attribute wie "Paradiesvögel", "spinnig" und "schräg" zugesteht, aber keine Vollwertigkeit als Menschen, die ihre "Liebe. Mit Recht." leben wollen.

Lasst uns den CSD in Karlsruhe auch 2012 als buntes Fest UND politische Kundgebung feiern! Heute werden wir sichtbar – auch für all diejenigen, die sich nicht hierher getraut haben und sich aus Angst vor Nachteilen gezwungen fühlen, unsichtbar zu bleiben!

Wir danken dem Orga-Team dafür, den CSD in Karlsruhe wieder etabliert und für diese Sichtbarkeit gesorgt zu haben!

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