wird, teilen wir zumindest in
Karlsruhe nicht. Viele
Lesben und Schwule feiern bei den CSDs auch sich selbst. Wenn dies mit Karneval verglichen wird, ist das ein Missverständnis. Viele von uns verkleiden sich im Alltag mehr, als auf dem CSD und tragen ihre Identität auf den CSDs gerne stolz zur Schau.
Stolz? Da wir es uns nicht ausgesucht haben, lesbisch oder schwul zu sein, können wir natürlich nicht darauf stolz sein. Stolz sind wir auf etwas Anderes:
In einer Gesellschaft, die so sehr von Frau-Mann-Beziehungen geprägt ist, braucht es nach wie vor
Mut, sich zu outen und offen von dieser Norm abweichend zu leben. Es geht nicht einfach darum, die eigene Ästhetik zu präsentieren, sondern
Akzeptanz und Gleichbehandlung dafür einzufordern.
Echte Toleranz und echte Gleichberechtigung würde aber auch gleiche Rechte bedeuten. Und die haben
Lesben und Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle nach wie vor nicht. Auch nicht in Karlsruhe, der Residenz des Rechts. Gerade diese Stadt soll besonders deutlich daran erinnert werden, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sein sollten. Das bedeutet eben auch, ein
"Recht auf Liebe", so wie wir sie leben wollen.
Nein,
Homosexuelle müssen hierzulande nicht mehr ins Gefängnis und werden nicht mehr staatlich verfolgt. Und oft genug wird die Botschaft an uns gerichtet: "Was wollt ihr denn eigentlich noch?!" Das, was selbstverständlich sein sollte, wird wie ein großes Zugeständnis an uns formuliert. Dass wir jetzt auch noch
in allem gleiche Rechte haben und von allen gleichberechtigt behandelt und
ernst genommen werden wollen, scheint vielen lästig zu sein.
Das eigene Leben trotzdem so
"laut und auffällig" zu führen, wie das Heterosexuelle ganz selbstverständlich tun, braucht Kraft, Mut und die Fähigkeit, mit Nachteilen umgehen zu können. Und das ist es, was uns stolz macht.
"Lebt doch Euer freies Leben und lasst diesen
Quatsch mit der Homo-Ehe", sagte ein Passant am
CSD-Infostand auf dem Marktplatz zu uns. Ein freies Leben? Das kann nur führen, wer – auch vor dem Gesetz – die freie Wahl hat und sich frei bewegen kann. Sich offen als
lesbisch, schwul, bi-, trans- oder intersexuell zu erkennen zu geben, trauen sich aber Viele auch in Karlsruhe nach wie vor nicht – und noch viel weniger, sich
am Arbeitsplatz zu outen. Die Angst vor Nachteilen und Spötteleien ist zu groß. Und wer die Angst ablegt, stößt schnell an die Grenzen der Toleranz. Es gibt eine Art
eingebildeter Toleranz in unserer Gesellschaft. Sie gilt, solange
Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle unsichtbar bleiben.
Viele
Lesben und Schwule können von Erfahrungen erzählen, die zeigen, dass die
Akzeptanz der Gesellschaft immer noch sehr
oberflächlich ist. Religiöse Einstellungen oder kulturelle Hintergründe zum Beispiel dürfen nie ein Recht zur Diskriminierung, eine Aufweichung der Menschenrechte zur Folge haben.
Oder wollen wir es als „kulturell“ betrachten, wenn es in Ländern wie z.B. Russland sogar
Rückschritte in der Akzeptanz von Lesben und Schwulen gibt? Heute stehen wir auch aus
Solidarität mit denjenigen Lesben und Schwulen hier, die weltweit noch – oder wieder! – um die
elementarsten Menschenrechte kämpfen müssen.
Von
gesetzlicher Gleichstellung kann aber wie gesagt auch in Deutschland nach wie vor
nicht die Rede sein.
Apropos "die Rede sein":
Reden sollen wir oft am besten sowieso
nicht über unser Lesbisch-Sein. Häufig gehörtes Argument: "Ich erzähle ja auch niemandem, was ich mit meinem Mann im Bett mache!" Als ob es darum ginge! Heterosexuelle Menschen nehmen oft gar nicht wahr, wie durchdrungen die ganze Öffentlichkeit, ihr eigenes Denken und vor allem auch ihr Reden von der Heterosexualität ist.
Fast immer und überall spielen heterosexuelle Paarbeziehungen eine Rolle: Film, Literatur, Songs und Lieder, Werbung, Theater, Formulare, Urkunden sowie Recht und Gesetz sind durchdrungen davon, dass es Frau und Mann sind, die einander begehren, die heiraten, die füreinander einstehen, die Kinder haben. Wenn Eine von uns die Andere aber öffentlich
"meine Partnerin" nennt, ist das oft schon zu viel. Die wenigsten Zeitungen schreiben über uns, dass wir ein Paar sind.
"Das spielt doch keine Rolle"... Ach wirklich? Und wie wäre es, wenn wir ein heterosexuelles Paar wären? Käme das auch nie vor in den Presseberichten?
Es spielt eine Rolle! Wir wollen
als Paar wahrgenommen und akzeptiert werden. Wir wollen, dass unsere
Liebe als gleichwertig gilt wie jene zwischen Frau und Mann. Wir wollen selber entscheiden dürfen, ob wir
heiraten wollen oder nicht und ob wir
Kinder großziehen oder nicht. Und wir wollen
Vorbilder sein für junge Menschen, die – wie wir – von der heterosexuellen Norm abweichen.
Wie oft wurden wir nach Auftritten schon gefragt: "Warum tragt Ihr eigentlich Männerkleider?" Genau so oft werde ich gefragt, warum ich mein Haar nicht trage. Tja, aus dem gleichen Grund, warum Andere Frauenkleider tragen und lange Haare haben: Weil es uns gefällt und wir uns in diesem Outfit wohlfühlen. Die
Normen und Erwartungen dieser Gesellschaft aber lassen so etwas nicht zu. Wer sich so "daneben" kleidet, muss einen ganz speziellen Grund dafür haben. Frau tut das sonst nicht.
Frau tut es eben doch - genau so, wie Mann auch Röcke trägt. Das kann er aber im Prinzip nur einmal im Jahr tun -
auf dem CSD. Denn sonst muss er befürchten, nicht für voll genommen zu werden. Er ist dann eine
"Tunte". Wir können uns immerhin auch im Alltag mit Krawatte oder Fliege präsentieren. Wir sind dann halt
Lesben, die tun so was. Und außerdem
Künstlerinnen - die sind ja eh immer etwas abgedreht.
Deshalb sind wir dieses Jahr
Schirmfrauen des CSD Karlsruhe geworden: Für
Gleichheit vor dem Gesetz in einer Gesellschaft, die uns zwar Attribute wie "Paradiesvögel", "spinnig" und "schräg" zugesteht, aber keine
Vollwertigkeit als Menschen, die ihre "Liebe. Mit Recht." leben wollen.
Lasst uns den
CSD in Karlsruhe auch 2012 als buntes Fest UND politische Kundgebung feiern! Heute werden wir sichtbar – auch für all diejenigen, die sich nicht hierher getraut haben und sich aus Angst vor Nachteilen gezwungen fühlen, unsichtbar zu bleiben!
Wir danken dem Orga-Team dafür, den
CSD in Karlsruhe wieder etabliert und für diese
Sichtbarkeit gesorgt zu haben!